Nach der Reise nach Dänemark im vergangenen Jahr führte uns die diesjährige Referenzreise in die Niederlande, einem weiteren europäischen Vorreiter in der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Im Rahmen unseres 2,5-tägigen Trips konnte unsere Delegation die Stärken unseres Nachbarlandes in der Umsetzung von digitalen, klinischen Prozessen vor Ort erleben. Alle unsere Mitglieder benannten hierfür Teilnehmende aus den Bereichen des Krankenhausmanagements, der Pflege, der Digitalisierung und IT oder der Projekt- und Organisationsentwicklung.
Am ersten Tag lag unser Fokus auf Vernetzung und Austausch. Im Rahmen einer Netzwerkveranstaltung, die wir gemeinsam mit der Task Force Health Care und ROM Utrecht veranstalteten, trafen wir auf eine Auswahl niederländischer Gesundheitsexperten. Die insgesamt 60 Teilnehmenden diskutierten in verschiedenen Austauschformaten Unterschiede und aktuelle Entwicklungen in der Digitalisierung beider Gesundheitsmärkte. Die Erkenntnisse zeigten, dass das niederländische Gesundheitswesen ähnlichen Herausforderungen gegenübersteht. Aufgrund frühzeitig bereitgestellten Innovationskapitals sowie bereits initiierten Gesetzgebungen haben die Gesundheitsversorger jedoch einen höheren digitalen Reifegrad als in Deutschland. Beispielsweise besteht seit Jahren für alle relevanten Akteure eine Verpflichtung zur Teilung interoperabler Gesundheitsdaten. Ebenso werden im Kontext von „Value Based Healthcare“-Initiativen bereits Erfahrungen im Umgang mit patientenbezogenen Outcome-Parametern gesammelt. Zusammenfassend zeigten sich die Vertreter beider Seiten trotz vieler Herausforderungen grundsätzlich optimistisch hinsichtlich des aktuellen Stands der fortschreitenden Digitalisierung und des damit verbundenen Kulturwandels bei Personal und Patienten.
Am zweiten Tag besuchten wir das Universitätsklinikum Utrecht (UMCU). Verschiedene Fachbereiche und Abteilungen gewährten uns tiefe und interessante Einblicke in die Integration sowie Organisation digitaler klinischer Prozesse im Versorgungsalltag. Beispielsweise wurde das digitale, integrale System zum Kapazitätsmanagement vorgestellt. Verantwortlich dafür ist ein vor zwei Jahren gegründetes Team. Durch die organisatorische Angliederung an die oberste Managementebene sind die Mitarbeitenden in der Lage relevante Fragenstellungen der Ressourcenverteilung eigenverantwortlich zu entscheiden. Ihr Ziel ist es durch eine strategische und operative datenbasierte Planung der Personal- und Bettenkapazitäten, organisatorische Effizienzen zu schaffen. Die kontinuierliche Analyse zu den Kapazitäten ermöglicht die frühzeitige Betrachtung von Trends, wie beispielsweise die zu erwartende Auslastung der Notfallversorgung in den kommenden Tagen und Wochen. Diese umfassende Herangehensweise erfordert nicht nur eine prozessorientierte Ausrichtung, sondern auch Transparenz unter allen beteiligten Fachabteilungen. Die hierfür notwendige Mentalitätsänderung ist ein laufender Prozess und wird intensiv durch die gesamte Organisation vorangetrieben, zum Beispiel durch ein eigens entwickeltes Schulungsprogramm zur digitalen Transformation, das jeder Mitarbeitende durchläuft.
Ein weiterer Schwerpunkt des Tages war die Vorstellung verschiedener eingesetzter Telemedizin-Programme. Angestellte Medizinstudierende führen während des Klinikaufenthalts routinemäßige Kontrollen der Vitalparameter der Patienten durch. Sie sollen somit Behandlungsrisiken rechtzeitig erkennen und gegebenenfalls das Stationspersonal informieren. Auch für die häusliche Versorgung bietet das Klinikum bereits Monitoring-Modelle an. Diese sollen eine frühzeitige, aber sichere Entlassung aus dem stationären Umfeld ermöglichen und somit den Behandlungsaufwand nachhaltig reduzieren. In Zukunft wird verstärkt am Aufbau eines regionalen Netzwerks gearbeitet, das bei Bedarf eine angemessene ortsnahe Versorgung der Patienten durch Kooperationspartner ermöglicht.
Nach einem kurzen Transfer nach Amsterdam waren wir am dritten Tag zu Gast im städtischen Krankenhaus OLVG (Standort Ost). Hier konnten wir erweiterte Einblicke in den digitalen Entwicklungsstand eines nicht-universitären Krankenhauses in den Niederlanden erhalten. Auch im OLVG war der Nutzungsgrad digitaler Lösungen im klinischen Alltag beeindruckend. Mobile Dokumentation und digitale Kommunikation zwischen Behandlern und Patienten sind bereits selbstverständlich. Viele digitale Innovationen werden schneller erprobt und umgesetzt als in deutschen Kliniken. Beispielweise sind Initiativen zur Datennutzung und -analyse schon weit vorangeschritten. Im Projekt „AIDOC“ wird Künstliche Intelligenz genutzt, um Notfallmediziner bei der Ersteinschätzung radiologischer Bilder zu unterstützen. Ebenfalls werden durch den eingesetzten „Care Monitor" verschiedene Leistungsindikatoren (OP-Auslastung, Verweildauern, etc.) mit einem Benchmark-Pool aus den Daten zahlreicher anderer niederländischer Krankenhäuser verglichen, und Potenziale zur Verbesserung der klinischen Abläufe sichtbar gemacht. In Gesprächen zwischen den verantwortlichen Datenanalytikern und den zuständigen Behandlern werden gegensteuernde Maßnahmen entwickelt, und deren Wirkung im Nachgang wird kontinuierlich überwacht.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die digitale Transformation im niederländischen Gesundheitssystem spürbar weiter vorangeschritten ist als in Deutschland. Trotz des Vorsprungs ist jedoch festzustellen, dass Papierarbeit weiterhin existiert und der kulturelle Wandel nicht ohne stetige Anstrengungen passiert. Die gegenwärtigen sowie künftigen Herausforderungen der Gesundheitsversorgung ähneln den unseren, wie zum Beispiel ein steigender Versorgungsbedarf der Patienten oder der Fachkräftemangel auf Seiten des Personals. Doch sind die vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen bei der Projektumsetzung denen deutscher Krankenhäuser deutlich überlegen, was die höhere Relevanz für die notwendige Transformation der Versorgungsleistungen im Vergleich zum deutschen Gesundheitssystem verdeutlicht. Entsprechend dem Leitsatz „digital unless" werden in den Niederlanden Digitalisierungsinitiativen aktiv vorangetrieben. Daher bleibt es spannend für uns von den Erfahrungen unseres Nachbars zu partizipieren und sinnvolle Rückschlüsse für die notwendigen Veränderungsmaßnahmen in Deutschland zu ziehen. Zu Abschluss möchten wir uns noch bei unseren niederländischen Partnern Task Force Health Care und ROM Utrecht sowie unseren Gastgebern vom UMCU und OLVG bedanken. Durch den ermöglichten, offenen Austausch nehmen wir viele Impressionen und Impulse mit und freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen.